Ehescheidung: Datenschutz contra Grundbuchsrecht – EGMR verurteilt Österreich


Ehescheidung: Datenschutz contra Grundbuchsrecht



Im Rahmen eines gerichtlichen Scheidungsvergleiches wird nicht nur die Ehe zwischen zwei Ehegatten geschieden, sondern es werden darüber hinaus auch Regelungen über den Ehegattenunterhalt, den Kindesunterhalt, die Kindesobsorge, das Kontaktrecht der Eltern zu den Kindern und über vermögensrechtliche Angelegenheiten wie die Aufteilung von Ersparnissen und Vermögen der Eheleute getroffen. Wenn infolge einer Scheidung auch eine Grundbuchsänderung stattfindet (zB ein Ehegatte überträgt seinen Anteil an einer gemeinsamen Ehewohnung an den anderen Ehegatten), genügt es laut der Rechtsprechung des OGH nicht, nur jenen Teil des Scheidungsvergleiches dem Grundbuch zur Genehmigung der Eintragung vorzulegen, sondern es muss der gesamte Scheidungsvergleich mit allen – auch vertraulichen – Punkten dem Grundbuchsgericht vorgelegt werden.

Das wiederum hat zur Konsequenz, dass wegen des grundbuchsrechtlichen Publizitätsprinzips, wonach jedermann Einblick in das Grundbuch und in die Urkunden im Grundbuch nehmen kann, unweigerlich an sensibelste Daten wie Unterhaltshöhe, Höhe von Bankschulden, sämtliche Personaldaten, Einkommenshöhe etc bei Einsicht in den Scheidungsvergleich erhalten kann. Diese Judikatur des Obersten Gerichtshofes 5 Ob 250/15y vom 25.1.2016 missachtet das Grundrecht auf Datenschutz gravierend (neuerdings auch OHG 5 Ob 151/19w vom 24.09.2019)! Jeder kann im Grundbuch in intimste Details und sensibelste private Daten, die nun einmal in einem Scheidungsvergleich enthalten sind und sein müssen, ohne große Mühe einsehen! 

Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Urteil vom 08.04.2021, Beschwerde Nr 5434/17, Liebscher / Österreich diese Rechtslage und Grundbuchspraxis endlich als  Verstoß gegen das Grundrecht nach Art 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) gewertet. Nach dem Urteil hat das Grundbuchsgericht im Einzelfall zu prüfen, ob Scheidungsfolgenvergleiche wirklich vollständig in die öffentlich einsehbare Urkundensammlung aufgenommen werden müssen – oder ob nicht doch eine Teilausfertigung genügt.



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